Immer mehr LGBTIQ* (Foto: Valentin Salja/Unsplash) melden Anfeindungen, Übergriffe. Sie erleben in Bayern tagtäglich Gewalt. Strong! fordert daher einen Aktionsplan.
Mehr Gewalt? Das sei schwer zu sagen, meint Dr. Bettina Glöggler. Die Zahlen der gemeldeten Übergriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen in Bayern steigen zwar seit Jahren, aber es könne schlicht sein, dass sich einfach mehr Betroffene trauen, zu melden, was ihnen widerfahren ist.
Kampf dem Hass!
"Die Leute werden da auch sensibler und haben mit der Fachstelle Strong! nun auch einen Platz, wo sie ihren Bedarf adressieren können", sagt die Diplom-Psychologin. Glöggler leitet mit dem Pädagogen Dr. Michael Plaß im Münchner Schwulen Zentrum Sub die LGBTQI*-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt in Bayern, Strong! Dieser Tage haben sie ihren Jahresbericht für 2021 veröffentlicht. Wer ihn liest, merkt schnell: Es besteht Handlungsbedarf.
Für das vergangene Jahr erfasst Strong! 165 Vorfälle (siehe Statistiken). Sie reichen von Beleidigungen (12 Fälle) über Bedrohung (29) und Tätlichkeiten (30) bis hin zu sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung (29).
Wenn die eigenen vier Wände keinen Schutz bieten
Tatsächlich erleben viele das eigene Zuhause als Ort, an dem sie sich nicht in Sicherheit wiegen können, zum Beispiel beim Dating oder gar in der eigenen Beziehung (25). Auch das Elternhaus (12) kann, nach einem Outing, zur Gefahr werden und erst recht Unterkünfte für Geflüchtete (28), in denen LGBTIQ* oft auf ein ebenso homo- und/oder trans*-phobes Umfeld treffen wie in ihrem Herkunftsland. Geflüchtete haben noch dazu oft mit Rassismus zu kämpfen.
"Wir müssen davon ausgehen, dass unsere Fallzahlen nur die Spitze des Eisbergs darstellen und die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt", sagt Michael Plaß. "Denn jeder weiß, dass 12 Meldungen von Beleidigungen oder 55 Vorfälle in ganz Bayern außerhalb der Landeshauptstadt mit der Realität nichts zu tun haben können."
26 der genannten Fälle seien immerhin bei der Polizei angezeigt worden. Aber das seien noch viel zu wenige, sagt Plaß. Viele Betroffene hätten Angst davor, die Täter*innen könnten sich rächen. Sie fürchten außerdem, die Polizei nähme derlei Fälle nicht ernst.
Archiv der Grausamkeiten
Die Zahlen von Diskriminierungen und Gewalt steigt, seitdem das Sub in den 90er Jahren angefangen hat, eine entsprechende Statistik zu erstellen. Angefangen hat das 1988 mit dem städtisch geförderten Anti-Gewalt-Projekt für schwule Männer*. Seit 2020 gibt es die Strong!-Fachstelle für ganz Bayern, die neben der Stadt München auch das Land finanziert.
"Die relativ geringen absoluten Zahlen sprechen wie gesagt für ein immenses Dunkelfeld", so Glöggler. "Über die tatsächliche Entwicklung von Homo- und Trans*-Feindlichkeit in Bayern können wir tatsächlich keine Aussage treffen." Klar sei nur: Das ist ein Thema, mit dem man sich befassen muss.
Ein Aktionsplan für Bayern jetzt!
Glöggler und ihr Kollege Plaß fordern deshalb einen Aktionsplan gegen Homo- und Trans*-Phobie auch in Bayern. "Der muss endlich kommen!", betont Michael Plaß. In sämtlichen Bundesländern gebe es einen, nur hierzulande nicht. Die Staatsregierung habe die Aufgabe, allen Bürger*innen in Bayern Sicherheit zu bieten, ignoriere das aber.
"Es wird deshalb höchste Zeit, dass der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung und Gender-Identität auf Bundesebene Verfassungsrang bekommt", betont Glöggler. Artikel 3 des Grundgesetzes will die neue Regierung ja laut Koalitionsvertrag entsprechend erweitern. Das hätte dann, glaubt sie, auch Signalwirkung für Bayern.