Der Begriff Homophobie gilt zu Recht als zu schwach für die immer noch bestehende und sich wieder verstärkende Feindseligkeit. Wir diskutieren, ob die früher als Selbsthass oder Neurose beschriebene Selbstentwertung des Homosexuellen nach seiner Emanzipation noch immer weit verbreitet ist. Referent: Falk Stakelbeck, Psychoanalytiker. Dienstag, 12. Februar, 19.30 Uhr. Wir führten mit Herrn Stakelbeck im Vorfeld ein Interview:
Herr Stakelbeck, was genau verbirgt sich hinter dem Begriff der Homophobie?
Homophobie ist ein Begriff, der vom Sozialwissenschaftler und Schwulen-aktivisten George Weinberg in durchaus polemischer, aber vor allem politischer Absicht in den frühen 1970ern kreiert worden ist. Der Begriff sollte eine Gruppe von Psychoanalytikern treffen, die sich für besonders gesund hielten und die Definitionsmacht über gesund und krank hatten. Das war eine gekonnte Polemik, ist jetzt aber ein halbes Jahrhundert her, und inzwischen versteht man unter Homophobie nicht nur die aversiven Äußerungen von Gesundheitsexperten, sondern auch die von vielen anderen Gruppen.
Also handelt es sich um keinen Angstzustand?
Heute heißt es, dass jemand der an einer Phobie leidet, vor allem Angst habe, während jemand, der homophob ist, seine Aggression auslebt. Der Begriff erscheint zu schwach. Zu schwach, weil er die Angst des Phobikers, jemandem der wirklich eine Angststörung hat, vernachlässigt und die Aggression bei der Homophobie unterschlägt. Statt von Homophobie sollte man besser von Feindseligkeit sprechen, um die Aggression, den Hass zu unterstreichen.
Beobachten Sie auch, dass sich (externe) Homophobie wieder verstärkt in unserer Gesellschaft verbreitet?
Natürlich sehe ich auch eine verstärkte Homophobie in "unserer Gesellschaft". Aber was ist Gesellschaft? Im öffentlichen Diskurs ist der Umgang mit Homosexuellen zu einem Indikator des liberalen Selbstverständnisses geworden. Rechtlich und in den öffentlichen Medien ist viel erreicht. In den sogenannten sozialen Medien sieht das schon anders aus. Da spricht der Hass. Ein weiteres Indiz ist die Bewegung der "besorgten Bürger", die sich gegen Lehrpläne einer Aufklärung über sexuelle Vielfalt aufstellen.
Was sind die Gründe dafür?
Es ist gar nicht so einfach zu verstehen, gegen wen sich die Aggression richtet. Richtet sie sich gegen Homosexuelle oder gegen die politische Elite, die die wirklichen Sorgen des Bürgers vernachlässige und sich nur noch um sexuelle Vielfalt kümmere? Dient der Homosexuelle nur als Sündenbock einer sich neoliberal ausrichtenden Politik oder ist der Hass, wie immer, als Angst vor der Unkontrollierbarkeit der Sexualität zu verstehen? "Unsere Gesellschaft" polarisiert sich stärker, in Deutschland sicher weniger stark als z.B. in Frankreich, wo viel massiver gegen die "Ehe für alle" protestiert wurde. Aber für einen schwulen Mann, der gerade auf der Straße zusammengeschlagen wurde, sind solche Differenzierungen natürlich ziemlich unwichtig. Die Gewalt hat zugenommen, die Zahlen sprechen dafür.
In Ihrem Vortrag geht es eher um die innere Homophobie von Homosexuellen. Wie lässt sich das Phänomen beschreiben?
Die Homophobie des Homosexuellen ist etwas anderes als Homosexuellenfeindseligkeit. Bei der Feindseligkeit ist die Aggression der zentrale Affekt, bei der Phobie ist es eher eine Mischung aus Angst, Aggression und Vermeidung. Als Psychoanalytiker würde ich noch die Beobachtung hinzufügen, dass das Angstobjekt bei einer Phobie auch eine anziehende Wirkung, eine große Faszination ausübt. Jemand mit einer Spritzenphobie sieht tatsächlich mehr Spritzen im Alltag. Das passt doch ganz gut, um die "gemischten Gefühle" eines Homosexuellen zu beschreiben.
Woher rühren die Ursachen dafür und wie äußert sich das Problem?
Anfang der 1970er Jahre haben Martin Dannecker und Reimut Reiche in ihrer Untersuchung "Der gewöhnlichen Homosexuelle" die eigene Ablehnung von Homosexuellen gegen alles Auffällige, Abweichende, insbesondere Weibliche als "kollektive Neurose" bezeichnet. Ob die Ablehnung sich heute immer noch auf das Auffällige oder Weibliche bezieht, ist nicht das Entscheidende. Entwertung von Minderheiten hat jeder im Kopf, selbst wenn man einer angehört.
So eine Entwertung gehört zu einer "Politik der Demütigung", der wir uns nicht so einfach entziehen können. Die Politik der Demütigung kennt natürlich unterschiedliche Grade. Es ist etwas anderes, ob man eingesperrt wird, einen bestimmten Beruf nicht ergreifen darf oder "nur" lächerlich gemacht wird. Ausschluss ist praktisch wirksamer als Beschämung, weil er weniger Handlungsoptionen offen lässt. Aber auch eine Beschämung ist wirksam. Ob wir nun von eigener Homophobie oder kollektiver Neurose sprechen, ist aber nicht entscheidend. Es soll mit all diesen Begriffen doch vor allem auf die eigene emotionale Ablehnung der Homosexualität hingewiesen werden, die man, selbst wenn man rational ganz anders denkt, gar nicht so einfach in den Griff bekommt. Darüber werde ich sprechen. Der Homosexuelle hat Teil an der kollektiven Homophobie, muss damit aber anders umgehen, im Coming-Out realisiert sich sein spezifischer Umgang mit der eigenen Homophobie und nur durch ein Bewusstsein der eigenen Homophobie können Strategien der Selbstermächtigung und ein Gefühl von Effektivität realisiert werden.